Der Weg ist das Ziel? Nicht ganz. Für Feinschmecker ist das Ziel entscheidend, um sich auf den Weg zu machen. Ab sofort lockt das Paznaun den ganzen Sommer lang auf den Kulinarischen Jakobsweg. Hier gibt es Gipfel, die anzusteuern sich lukullisch lohnen. Zu Fuß, mit dem Rad oder einem E-Bike. Bis einschließlich 21.9.2014 nämlich bringen vier Sterneköche aus Deutschland, Italien, Belgien und England ihre eigens entworfenen Gerichte aus regionalen Produkten in Tiroler Berghütten. Für Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin erwanderte sich Karin Lochner die Gaumenfreuden.
Das Konzept ist bereits das sechste Jahr erfolgreich. Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin war vor drei Jahren bereits zur Präsentation dabei. Internationale Sterneköche kreieren jeweils ein Sommergericht für Alpenvereinshütten zu einem moderaten Preis. Das Besondere: die Spezialitäten aus der Region Paznaun werden in die Menüs eingebaut. Wie Wildkräuter, Schinkenspeck, Pasta, Kartoffeln; allesamt Zutaten, die auf die Speisekarte einer Berghütte passen. Also rein in die Bergstiefel, hochgewandert und gekostet, was sich Dieter Müller aus Deutschland, Giovani Oosters aus Belgien, Russell Brown aus England sowie Alfio Ghezzi aus Italien für die hungrigen Wanderer haben einfallen lassen.
Die Natur steht in vollem Saft. Kuhglocken bimmeln. Gut zwei Stunden Fußmarsch und eine enorme Vorfreude liegen vor mir. Verträumt leuchten die Blüten aus den satten Wiesen wie impressionistische Farbtupfer. Oben am Gipfel dann die Überraschung. Da sitzt Eckart Witzigmann wie ein Buddha vor der beeindruckenden Bergkulisse. Frisch und ausgeruht blinzelt er in die Sonne, während ich selbst schnaufend die letzten Meter zurücklege. Der Maestro scheint fabelhaft fit zu sein. Kein Wunder, hier geht es nicht nur um Tiroler Berggipfel, sondern um seine Idee von Genussgipfel. Denn der Jahrhundertkoch ist Pate der ganzen Aktion. Genau genommen dachte er sich sogar den klangvollen Namen aus. Schließlich gibt es Jakobswege in ganz Europa so zahlreich wie Gebirgsbäche in Tirol. Ein kleiner Umweg und schon ist man den historischen Pilgerpfaden nahe. Da brauchte man im Paznaun nicht lange zu suchen.
Trotz des Namens „Kulinarischer Jakobsweg“ hat eine Jakobsmuschel auf einem Berggipfel nichts verloren. „Nichts ist schöner als nach einer Wanderung frisches und authentisches Essen zu bekommen.“ verkündet Eckart Witzigmann. O ja, nicke ich stumm und verzage bei dem Gedanken an alpin verbreitete Scheußlichkeiten wie das Gulasch aus der Dose oder die Erbsensuppe aus dem Packerl. Aber Sterneküche auf Berghütten? „Es geht weniger um Sterneküche im klassischen Sinne als vielmehr um kreative Gerichte aus regionalen Produkten,“ erklärt Eckart Witzigmann das Konzept, während seine Kollegen auf vier Berghütten zu Tisch bitten.
Der deutsche Sternekoch Dieter Müller kreierte für die Ascher Hütte, die man von der Ortschaft See aus erreicht, Saiblingsfilet mit Erdäpfelstampf, Kren-Senf-Sauce, Bohnenconfit und Salat-Kräuterhaube. Im würzigen Kartoffelstampf, vermengt mit Kräutern wie Schnittlauch, liegt ein Saibling mit krosser Haus, darauf sitzt ein Brotchip als Unterlage für den Salat, der den Abschluss des essbaren Türmchens bildet. Ein wunderbares Beispiel für ein bodenständiges Gericht mit dem gewissen Etwas. Die knusprige Röschheit des Brotchips grenzt den Salat ab und schafft einen feinen Übergang zur Kren-Senf-Sauce, die das ganze Gericht als kreisförmiges Band ummantelt.
Auf der Heidelberger Hütte in Ischgl begeistert mich der Italiener Alfio Ghezzi mit hauchfeinen Tagliatelle. Welch delikate Begleitung aus Kalbsragout und Parmesan, gekonnt aromatisiert mit Kaffee-Pulver, wird dem Pastagericht untergemengt. Heimische Bergkräuter sind drüber gestreut und als Hingucker kommt auf jedes Teller die essbare Blüte einer Kapuzinerkresse. Ein feines, leichtes Essen mit unverkennbar italienischer Persönlichkeit.
Der englische Sternekoch Russell Brown hingegen dachte sich ein eher üppiges Gericht aus. Auf der Jamtalhütte in Galtür wird seine Variation vom Rindsbackerl, das in Bier geschmort wurde, serviert. Das zarte Fleisch liegt im Kartoffelpüree. Tupfen aus Zwiebelpüree stehen rechts und links wie Zinnsoldaten daneben, keck gekrönt von kleinen Perlzwiebeln. Die auf Berghütten allgegenwärtigen Zwiebeln gibt es bei ihm als Topping und süß mariniert. Sie verbinden auf‘s Feinste mit der milden Säure der Perlzwiebeln.
Gäste der Niederelbe Hütte, die man von Kappl aus erreicht, erleben, wie sich belgische Küche mit alpinen Produkten bei Giovani Oosters verbindet. Hier steht ein fast vegetarisches Gericht auf der Karte, wäre nicht der feine Tiroler Schinkenspeck dabei. Dinkel als Risotto zubereitet und gekrönt von einem Wildkräutersalat, dessen unwiderstehliches Dressing tatsächlich nach Sterneküche schmeckt, während die weiteren Zutaten eher einer Arme-Leute-Küche entstammen, wie der Almkäse oder der Honig.
Vielen Wanderern geht es wie mir, wir möchten uns ein paar Inspirationen der Kochkünstler mit nach Hause nehmen. Als ich Russell Brown das Geheimnis seiner vielen Zwiebelvariationen entlocken will, aber an der Sprachbarriere scheitere, erfahre ich von Eckart Witzigmann, dass das Rezept auf jeder Speisekarte abgedruckt ist und man sich diese mitnehmen kann. Dann steigt er in einen Geländewagen („wegen der Knie“) und entschwindet gen Tal. Ob es sich bei diesem Fahrdienst um eine Art gastronomischer Bergwacht handelt? Witzigmanns fabelhafte Fitness konzentriert sich jedenfalls auch diesen Sommer wieder ganz fachkompetent auf den kulinarischen Jakobsweg. Betonung „kulinarisch“, nicht „Weg“.
„Kulinarischer Jakobsweg”
Die vier Wanderungen führen auf die Jamtalhütte bei Galtür, die Heidelberger Hütte bei Ischgl, die Niederelbehütte bei Kappl sowie die Ascher Hütte bei See. Während des Paznauner Bergsommers können die vier Genusswanderungen bis 21. September 2014 auch pauschal gebucht werden. Mehr Informationen beim Tourismusverband Paznaun-Ischgl per E-Mail: incoming@paznaun-ischgl.com.
Weitere Informationen zu den Köchen und Touren sowie einen kostenlosen Download der Gerichte unter www.kulinarischerjakobsweg.paznaun-ischgl.com oder www.paznaun-ischgl.com.
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Fotos: © Bettina Theisinger