Er ist kein Zugvogel. Er ist die Konstante. Michael Fell ist bereits seit über 20 Jahren der Küchenchef der Dichterstub’n im Relais & Châteaux Park-Hotel Egerner Höfe in Rottach-Egern. Während andere Küchenstars von Hotel zu Hotel, von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent wandern, hat ihn das Leben aus Württemberg an den Tegernsee getragen. Und seitdem nicht mehr losgelassen. Im Mai 2015 erhielt seine Dichterstub’n ein komplett neues G’wand. Ein Portrait.
Auch er ist einer von ihnen. Ein Eckart Witzigmann-Schüler. Doch genauso ein Otto Koch-Schüler. Bei beiden, so sagt Michael Fell, habe er viel gelernt. Alle beide seien Köche, die ihrer Zeit weit voraus waren und es immer noch sind, sowohl fachlich als auch menschlich. Nach seiner Ausbildung zum Koch im heimischen Fellbach war er für anderthalb Jahre bei Eckart Witzigmann, anschliesssend bei Otto Koch für knappe zwei Jahre, zwei weitere Jahre im Königshof München. Dann wurde er zur Bundeswehr eingezogen, jedoch nicht als Koch, noch nicht mal an der Gulaschkanone. Zur Feldartillerie wurde er gezogen, hat in der Zeit sehr viel Sport gemacht. Und nun ist er schon seit über 20 Jahren in Bayern. In der Geniesserlandregion Tegernsee. In Rottach-Egern. Im Relais & Châteaux Park-Hotel Egerner Höfe. Im Restaurant Dichterstub’n. Ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern. Das ist Konstanz! Es wird Zeit, diesen genialen Kochkünstler näher kennenzulernen. Denn Michael Fell gehört nicht zu den Lautsprechern seines Berufsstandes. Er ist kein Fernsehkoch, er tritt nicht in irgendwelchen Shows auf. Irgendwie ist er ein „hidden champion“, den nur wenige wirkliche Geniesser kennen.
Otto Koch, so erklärt Michael Fell, „ist eine Persönlichkeit von seinem Intellekt her, der mich in meiner Lebenseinstellung geformt hat. Er ist ein sehr enger Freund geworden.“ Eckart Witzigmann hingegen war „sehr prägsam durch die Produktbesessenheit. Die Basis der Küche ist das Produkt. Auch wenn es nur das Grundprodukt ist, wie ein Fleischpflanzerl, dann muss alles stimmen.“
„Seit dem 10. Lebensjahr wollte ich Koch werden“, erinnert sich Michael Fell und schiebt die Erklärung dafür hinterher: Seine Eltern waren beide berufstätig, er musste sich daheim selbst versorgen. Durch die ZDF-Fernsehsendung „Lirum Larum Löffelstiel“ erlernte er das Kochen. Dies verbindet ihn etwas mit mir: auch meine Eltern waren beide berufstätigt, von der Fernsehsendung hatte und habe ich noch immer das Kochbuch.
Mit simplen Pommes frites fing es an. Michael Fell hat sie selbst gemacht, hat die Kartoffeln zu Stäbchen geschnitten und in Fett ausgebacken. Der nächste Schritt war Pastasciutta. Seine Mutter war eine hervorragende Köchin. So gab es sonntags immer den klassischen Sonntagsbraten, auch Sauerbraten und Rouladen erlernte er. Das war für den kleinen Michael immer der Höhepunkt der Woche. Dies also führte ihn zur klassischen Ausbildung zum Koch in Fellbach.
Was bedeutet ihm der Tegernsee? Was hält ihn in dieser Geniesserlandregion schon so lange, wollen wir wissen. „Es ist die Region, die Landschaft“, antwortet er. „Ich war mit 18 Jahren das erste Mal am Meer. Vorher war ich mit meinen Eltern immer nur im Alpenraum. Ich fühle mich in den Bergen immer wohler als in Städten oder am Meer“, erklärt Michael Fell seine Liebe zu den Alpen. Und er präzisiert: „Ich fühle mich hier wohl. Ich bin hier in den Egerner Höfen zuhause. Ich habe hier mein „trautes Heim“. Andere Menschen trauen sich nicht heim. Wenn man in einer der schönsten Gegenden Deutschlands wohnen und arbeiten darf: Warum nicht?!“
Die Gastlichkeit ist das Besondere, was den Tegernsee so berühmt und beliebt macht. Typische Tegernseer Gerichte sind für Michael Fell zum einen das von ihm selbst kreierte Tegernseer Schnitzel, eine Variation des Münchner Schnitzels: Dafür wird das Kalbsschnitzel mit süßem Senf und Meerrettich eingerieben, dann mehliert, mit Ei und Semmelbrösel versehen und im Butterschmalz ausgebacken. Ausserdem gehört sehr viel Fisch in der Geniesserregion Tegernsee auf den Tisch.
Die Geniesserregion Tegernsee hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, erklärt uns der Sternekoch. „Früher gab es nur das Bachmair am See. Diesem ehemaligen Luxushotel hat das Tal seinen guten Ruf zu verdanken.“ Doch mit dem schleichenden Absinken des ehemals gleissenden Sternes entstand ein Vakuum an Tegernsee. „Es hiess, wir seien das Tal des Trauerns“, doch das hat sich stark gewandelt. „Wir haben hier die besten Voraussetzungen für eine erstklassige Ferienregion in den bayerischen Alpen. Wir haben die beste Gastronomie. Unsere Gäste sind Geniesser, die das wertschätzen.“ Und Michael Fell zeigt auch auf, dass die Grundprodukte aus der Region kommen: „Wir haben die Naturkäserei Tegernsee vor Ort. Im Landkreis Miesbach sind Bauern, die uns mit besten Produkten versorgen, wie etwa Bauer Martin mit seiner Landzucht. In den letzten Jahren hat es sich so hervorragend entwickelt, dass wir uns hier zurecht als Geniesserland bezeichnen.“ Anhand der steigenden Nachfrage liesse sich schliesslich auch in Zahlen ablesen, dass die Region zur Genuss-Spitze in Deutschland zählt. Mittlerweile habe der Gast schon die Qual der Wahl, ob er beispielsweise in ein klassisches, traditionelles Gasthaus, ein Restaurant mit einem oder gar mit drei Michelin-Sternen gehen möchte.
Auch viele andere Produkte im Restaurant Dichterstub’n kommen aus der Umgebung. Doch, so gibt Michael Fell zu, schaffen es viele Bauern nicht immer, die entsprechende Menge, die so ein großes Hotel wie das Relais & Châteaux Park-Hotel Egerner Höfe einkaufen muss, auch zu liefern. So kommen die Eier aus Dietramszell, Käse und Milch kommen von den Bauern aus der Umgebung, so auch aus Bad Tölz. „Nur regional ist für mich schon etwas ausgetreten. Wir sind regional und nachhaltig. Alles was machbar ist, setzen wir um. Unsere Fische, wie etwa Saibling, Forellen und Renken, stammen zwar aus einer Fischzucht, aber eben hier vom Tegernsee.“ Und er gesteht, dass allzuviel Sauberkeit auch seine Nachteile haben kann: „Dadurch, dass jetzt der Tegernsee so sauber ist, hat er weniger Fische als früher. Die Fische brauchen Plankton zur Ernährung – und das fehlt mittlerweile.“
Damit die Dichterstub’n die köstlichen Kreationen des Küchenchefs auch optimal präsentieren kann, erhielt sie im Mai diesen Jahres ein komplett neues G’wand: Sie ist umgezogen zwischen die Höfe Catherina und Valentina und verbindet in einer Glas-Holz-Konstruktion den Innenraum mit einem großen offenen Kamin elegant mit dem Naturraum des Hotelparks.
Dass bei soviel Begeisterung für exzellente Grundprodukte und ihre Zubereitung auch die Familie mit einbezogen wird, liegt eigentlich fast auf der Hand. Seine Ehefrau kocht Marmeladen selbst ein, und die sind so gut, dass sie in der Naturkäserei Tegernsee verkauft werden. „Sogar die Metro war daran interessiert. Doch die brauchen wieder eine grosse Menge. Aber wir haben sehr viele private Abnehmer.“
Mittlerweile hat das Park-Hotel Egerner Höfe auch sein eigenes Bier, doch mit dem neumodischen Begriff „Craft-Bier“ möchte Michael Fell es nicht ausschmücken. Die „Egerner Gold-Blonde“ ist das hauseigene Bier. Es wurde von der Hopf-Brauerei entworfen und wird in der Hofmarkbrauerei in Cham gebraut. Seit kurzem kann dies Bier sogar in der Galleria Kaufhof am Marienplatz in München gekauft werden.
Genuss bedeutet für Michael Fell nicht nur das Essen. Es geht ihm auch um die Familie, die Mitarbeiter, den Chef. „Wenn es denen gut geht, dann weiss ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Dann geht es mir gut. Ich kann nicht in das beste Restaurant gehen und geniessen, wenn ich weiss, dass es anderen nicht gut geht. Wenn ich weiss, es geht denen gut, dann kann ich mich fallen lassen und geniessen.“ Ausserdem geniesst er die Zeit, um mit Familie und Freunden in die Berge zu gehen. Zeit zu haben ist für ihn ausserdem ein schöner Genuss, „von dem ich wenig habe. Der Beruf ist sehr zeitintensiv. Daher braucht man eine Menge Idealismus.“ Für seine Kreativität geht er mit offenen Augen durchs Leben.
Ideen für seine Gerichte entwickelt Michael Fell, indem er sich mit dem Produkt an sich beschäftigt, nicht etwa in anderen Restaurants. „Mittlerweile bin ich in einem Alter, wo ich eine Grundbasis an Wissen habe. Die Produkte entwickeln sich immer weiter.“ Und er erzählt von der Fleischigkeit eines Bauerngockels, den er beim Wandern „gefunden“ habe und mit Kräutern servierte. „Derzeit habe ich einen Tegernseer Saibling mit in Weinessig, Zucker und Diestelöl marinierter fetter Henne. Dafür wird die fette Henne kleingeschnitten, mit eingekochtem Rotwein und Zucker bei 80°C abgedeckt gedünstet“, verrät er uns seine aktuellste Entwicklung. Doch er gesteht, dass er auch gerne nach München ins Tantris zum Hans Haas geht, weil das Essen bei seinem Kollegen „so toll ist“.
Und er kommt wieder auf die Regionalität zu sprechen. „Es ist typisch für Bayern, dass es auch mal Innereien und Schmorgerichte gibt. Die werden hier nach wie vor sehr gern gegessen.“ Und er verweist wieder auf seine beiden berühmten Lehrmeister: „Wir haben bei Otto Koch Lammblutwürstchen gemacht. Wir hatten eine Kronfleischküche, in der wir alles vom Tier verwendet haben. Bei Eckart Witzigmann haben wir Milzwurst gemacht. Das Tier besteht nicht nur aus Rücken und Filet, sondern auch aus anderen guten Teilen.“
Der aktuelle Küchentrend ist für ihn die natürliche Küche. Der Gast will wieder eine auf das Grundprodukt bezogene Küche haben. Eine Aromenküche haben schon Steinheuer und Sackmann gemacht, als es den Namen noch nicht gab. Harald Rüssel hat schon immer regional gekocht, bevor es überhaupt Mode wurde. Und die Molekularküche ist völlig rückläufig. „Es ist toll, was Adrian Ferra gemacht hat“, zieht er vor dem spanischen Kollegen den Hut, „es wird auch in Teilen weitergeführt werden. Doch ich habe diesen Trend nie mitgemacht, da ich nicht bei ihm war, ihm nicht über die Schulter geschaut habe.“ Michael Fell will in der Dichterstub’n des Park-Hotel Egerner Höfe vor allem „Lockerheit“. Seine Gäste wollen heute einen schönen, lockeren Abend haben mit sehr guter Küche. Es ist nicht mehr so steif wie früher. „Die Etikette kommt ganz klar hinter dem Genuss, sich fallen lassen zu können.“
Abschliessend interessiert uns noch, wie er den Kampf um die Sterne sieht. Doch Michael Fell verneint, für ihn, der seit über zehn Jahren – mit einer Pause von zwei Jahren zwischendrin – einen Michelin-Stern erkocht, ist es kein „Kampf“. Er verdeutlicht, dass „man immer authentisch bleiben muss. Als Koch muss man immer ein Optimum an Qualität herausbringen. Wenn das der Guide Michelin würdigt, dann ist das eine Bestätigung für das, was man tut.“ Michael Fell zeigt sein Selbstverständnis von Gastronomie auf: „Wir sind da, um zu dienen. Das heisst: Nicht devot zu sein, sondern um zu dienen. Wir wollen mit einem Optimum an Herzlichkeit, Gastfreundichkeit und fachlicher Kompetenz dienen.“
Doch ausserhalb der Küche, im Restaurant, im Service sieht er Optimierungspotential. „Der klassische Maitre wird heute in der Hotellerie total vernachlässigt und übersehen, der müsste wieder mehr unterstützt werden“, setzt er sich für die Restaurantchef-Kollegen ein. Doch Service am Gast ist vor allem eine Personal- und damit auch eine Kostenfrage. In der Dichterstub’n wird am Tisch des Gastes gekocht und zubereitet: „Wir machen Tatar am Tisch des Gastes, ebenso filetieren wir ganze Fische, tranchieren Geflügel, Enten und wir zelebrieren ein Crêpes Suzettes am Tisch.“ Hier ist der Kellner also nicht zum Tellertaxi verkommen sondern kann wirklich noch seine erlernten Fähigkeiten zeigen. Auch dies ist ein Luxus, den man heutzutage nur noch selten sieht.
Dass die Qualitäten von Michael Fell einen würdigen Nachfolger finden, dafür hat er selbst schon gesorgt. Seine Kinder Marie-Luisa und Anton sind mit Leib und Seele dabei, Anton hat schon selbst den Wunsch geäussert, Koch zu werden.
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