Demokratisches versus Fokussiertes Konzept sind laut Eckart Witzigmann die interessantesten Entwicklungen in der Gastronomie. Anlässlich des Eckart Witzigmann Symposiums in der BMW Welt im Vorfeld der ECKART 2015 Preisverleihung diskutierten prominente Vertreter der Branche über die neuesten Restaurant-Eröffnungen in Europa. Das eine Konzept wird dabei insbesondere von der neuen Tapas-Bar von Albert Adria in Barcelona verkörpert, das andere Extrem wird in Kürze von Sternekoch Kevin Fehling in Hamburg eröffnet. Wir sind gespannt auf Tickets Bar und The Table.
Demokratisch ist für Eckart Witzigmann das Konzept von Albert und Ferran Adria in Barcelona. Das „Tickets“ ist schlicht und einfach eine Neuerfindung der Tapas-Bar. Die beiden zelebrieren die Hochküche aus Spanien, garniert mit Zirkus und Erlebnis. Es ist, so schildert Eckart Witzigmann seine eigenen Erlebnisse, ein Genuss mit allen Sinnen, die Speisen haben Spitzenqualität. „Mit allen Sinnen geniessen“ wird hier direkt erlebbar gemacht. Hier findet man in einzigartiger Atmosphäre ein Update traditioneller katalanischer Tapas in experimenteller kulinarischer Technik. Das Dekor ist der Liebe zum Kino entlehnt. Blanke Tische, lebhafte Atmosphäre – „aber alles, was auf den Teller kommt, hat allerhöchste Klasse“. Also der beste Schinken, die besten Oliven, schlicht „alles perfekt zubereitet und pfiffig angerichtet.“ Das sei ein „demokratischer Ansatz“ ergänzt Otto Geisel. „Die kleinen Teller kosten ab vier Euro, man kann das Menü kurz halten, ein Bier dazu trinken, beliebig erweitern, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Aber für 60 Euro kann man ein echtes kulinarisches Erlebnis haben.“
Fokussiert ist hingegen das Konzept von Kevin Fehling für sein neues Restaurant „The Table“ in Hamburg. Der Sternekoch, der bis vor kurzem noch seine Gäste im Belle Epoque in Travemünde zu begeistern wusste, eröffnet in Kürze in der Hansestadt ein Restaurant, in dem es nur einen langen, schmalen, Tresen-ähnlichen Tisch gibt. Kevin Fehling erklärt, wie er sein neues Restaurant versteht:
Wie ein Captain’s Dinner an Bord, nur nicht ganz so steif. Wie ein Chef’s Table mit 3-Sterne-Gerichten. Das klassische Sterne-Restaurant, so grenzt er sich ab, braucht eine Menge als Basis bevor es überhaupt öffnen kann: Teures und edelstes Silber, Porzellan, jeweils extra Wägelchen für Petit Fours, Sorbets und Käse, mindestens sieben Sorten Brot und vieles mehr. Im Jahr 2013 war Kevin Fehling noch der nördlichste Drei-Sterne-Koch Europas. Nun will er eine Art Sushi-Bar eröffnen. Er will das Kochen und Tranchieren am Gast wiederbeleben, er will den Kellner wieder mehr in den Vordergrund rücken. Es gibt nur ein Menü am Abend, daher sind Reservierungen absolut sinnvoll und wer Allergien oder Unverträglichkeiten habe, sei auch besser beraten, diese gleich bei Tischreservierung bekanntzugeben, damit sich das Küchenteam darauf einstellen könne. Denn anders als Hotelrestaurants habe das neue Restaurant dann eben nicht mal eben noch zig andere frische Lebensmittel in den Kühlhäusern parat. Die Gäste sollen sich wie zu Hause fühlen (aber bitte nicht so benehmen). Das Essen wird an einem schlangenförmigen Tresentisch serviert, der zu unkomplizierten Verhalten wie auch Gesprächen führen soll. Damit alles klappt und er von Anfang an perfekte Mitarbeiter hat, hat er sein ganzes Team, 6 Köche und 3 Servicemitarbeiter, aus Travemünde nach Hamburg mitgenommen. Am 27.07.2015 war Pre-Opening, am 01. August die große Eröffnung.
Dabei sollen zweimal am Abend je zehn Gäste bewirtet werden. Es wird jeweils immer nur ein Gang für alle Gäste gleichzeitig angerichtet, somit liegen alle Augen des Teams nur auf diesem einen Gang. Bestimmte Gerichte werden vom Service oder den Köchen vor dem Gast vollendet. Es gibt einen kleinen Warte und Empfangsbereich, auf einer höher gelegenen Gallerie werden dann Digestifs und Champagner gereicht. Preislich ist „The Table“ ebenfalls interessant gestaltet. Mit 250 – 300 Euro pro Person sollte der Gast rechnen, dabei wird das Menü mit etwa 180 Euro, die Weinbegleitung mit 80-90 Euro zu Buche schlagen. Apropos Weine, die Weinkarte ist stark deutsch geprägt.
Einen Seitenhieb in Richtung seines bisherigen Arbeitgebers Columbia Hotels, indem er sein Restaurant „La Belle Epoque“ hatte, konnte sich Kevin Fehling nicht verkneifen – doch diese Kritik ist so ziemlich allgemeingültig für viele Hotels mit starken Direktoren. Er verdeutlicht, dass in einem abhängigen Arbeitsverhältnis, als angestellter Küchenchef die Einrichtung, das Konzept eines Restaurants allzu oft „von der Hotelgruppe, dem Hoteldirektor oder der Ehefrau des Direktors“ beeinflusst wird. Es ist nichts aus einem Guß. Sein neues Restaurant „The Table“ ist von A-Z von ihm durchgestaltet, komplett sein eigenes Konzept. „Ich werde alle Dinge, die wir uns selbst aufgeladen haben, weglassen“, und meint damit, dass teures Silber, schwere Tischdecken, edelste Einrichtung und vieles mehr bei ihm nicht existieren wird. Man könnte es auch „reduce to the max“ nennen.
Kevin Fehling ist der Meinung, dass sich die deutsche Eßkultur jetzt erst entwickeln würde. „Wir müssen Esskultur schaffen und eine eigene Identität entwickeln“, ruft Fehling auf. Die deutschen Top-Restaurants orientieren sich gerade. Dennoch ist der deutsche Gast nach wie vor nicht bereit, soviel Geld auszugeben, wie etwa in anderen Ländern. Bei unseren europäischen Nachbarn werden für ein Menü in einem Sternerestaurant deutlich höhere Preise verlangt. Der deutsche Gast, so verdeutlicht es Kevin Fehling, sei noch nicht so weit, eine echte Hochküche auch akzeptieren, geniessen zu wollen und zu können. Für ihn sei die Frage nach wie vor offen, was die Identität der deutschen Küche sei. Was ist der Markenkern, der USP der deutschen Küche?
Der Sternekoch will mit jedem Gericht eine eigene Geschichte erzählen. Jedes Menü soll eine kulinarische Weltreise erlebbar machen. Dabei sei er durch Einflüsse etwa aus der indischen, thailändischen oder südafrikanischen Küche inspiriert. Er will seinen eigenen Worten zufolge Gerichte „mit Überraschungseffekt auf 3-Sterne-Niveau“ bieten. Sein Lebensmotto sei „Lebe die Vielfältigkeit des Lebens im Gleichgewicht.“ Daher legt er sehr viel Wert auf die Herkunft seiner Produkte. Komplett mit Bio-Produkten zu arbeiten sei nicht möglich. Doch arbeitet er hauptsächlich mit Demeter-Produkten, ansonsten achtet er darauf, dass keine Kinderarbeit ausgenutzt wurde.
Die Region als Erfolgsfaktor
Anschliessend an die Präsentation dieser beiden sehr unterschiedlichen und sehr anspruchsvollen neuen Restaurant-Konzepte diskutierte die Runde unter Leitung von Eckart Witzigmann und Otto Geisel Faktoren, die den Erfolg eines Restaurants beeinflussen können. Dabei wurden die Konzepte unterschiedlicher Träger des ECKART der letzten Jahre, die in die Jury des internationalen Eckart Witzigmann Preises 2015 berufen wurden, besprochen. Die Region in der Welt, die Region in einem Land ist dabei derzeit der wichtigste Treiber für Erfolg.
In die Jury des internationalen Eckart Witzigmann Preises 2015 wurden berufen:
- Dr. Friedrich Eichiner, Mitglied des Vorstands der BMW AG, Finanzen, München
- Chris De Margary, früheres Bandmitglied von Simply Red und Betreiber eines Weingutes, Ballybofey
- Jon Rose, Preisträger des ECKART 2014 für Kreative Verantwortung und Genuss, Los Angeles
- Fritz Eichbauer, Unternehmer, Gründer und Inhaber des Restaurant Tantris, München
- Kevin Fehling, Preisträger des ECKART 2013 für Innovation, Hamburg
- Otto Geisel, Witzigmann Academy, Initiator des Preises, München
Ein besonders interessantes, faszinierendes und erfolgreiches Projekt ist beispielsweise der River Finn in Irland. Mick Hucknall und Chris De Margary von Simply Red schützen diesen Fluss und setzen sich für eine besonders nachhaltige Bewirtschaftung ein. Mick Hucknall hat den River Finn gekauft, Freund und Ex-Bandmitglied Chris ist zuständig für die Fische, Lachse, Hummer und kümmert sich um eine nachhaltige Bewirtschaftung wie etwa die Fliegenfischerei. Dabei unterstützen sie besonders die Irische Küche und beliefern erstklassige Gastronomen des Landes mit bester Qualität. Die dazugehörige Glenmore Rivers Lodge gehört den beiden ebenfalls.
Jon Rose, ein Ex-Surfer, ist Preisträger des Eckart 2014. Er hat das Trinkwasser-Projekt Waves for Water auf den Philippinen entwickelt, eingeführt und umgesetzt, mit dem vielen Filipinos das lokale leider sehr verschmutzte Wasser sicher und sauber filtern können und somit Trinkwasser-Qualität erhalten. Dabei ist dies Projekt nicht mal teuer und aufwändig, jeder Haushalt kann sich so einen Filter leisten. Diese Trinkwasser-Filter kostet lediglich 50 US-$ und schafft angeblich 1 Million Gallonen sauberes Trinkwasser.
Dominik Flammer, Foodscout und Journalist, beschrieb anschliessend sein Konzept der Alpenküche. In den Augen des Schweizers sind die wirklichen, nationalen Küchen kleine regionale Küchen. Die besten Gerichte aus allen Regionen weltweit sind die handwerklich sehr einfachen und sehr guten Küchen. Dabei ist Europa die Drehscheibe der Welt. Die Alpen sind allerdings der Riegel dazwischen, der viele Küchenstile der unterschiedlichen Regionen trennt, durchlässt oder auch verbindet. Der Alpensaum beherbergt somit eine kleinteilige Täterkultur sowie die Einflüsse aus Nord- und Südeuropa. Der Alpenraum ist insgesamt ein zusammenhängender Kulturraum für die Tierzucht und Nahrungsherstellung. Dominik Flamme glaubt nicht, dass sich die deutsche Küche über eine internationale Küche definieren liesse. Man muss sie über die Regionen finden.
Die Zeit von Convenience, so verkündete Dominik Flammer, sei vorbei. Die Nachkriegszeit hatte zur Folge, dass wir heute eine Sortenarmut bei fast allen Früchten haben. Wir können nur noch aus etwa acht Apfelsorten auswählen. Viele Obst- und Gemüsesorten wurden verdrängt. Genau das ist jetzt zu Ende, der Verbraucher fragt wieder nach anderen, seltenen Sorten, er will wieder ein Geschmackserlebnis, unterschiedliche Formen, Variationen und Geschmäcker. In den Alpen werden wieder Edelkrebse gezüchtet. Für Brot werden wieder alte Getreidesorten genutzt. Im Sinne einer Biodiversität sollten wir alte Sorten von Früchten inventarisieren und retten oder ggf. neu züchten. Insbesondere Äpfel, Kartoffeln, Wildpflanzen, Purpurenzian, Sanddorn aus den Alpen nannte Flammer beispielsweise. Er erwähnte den Fischreichtum, der früher gegeben war. Fischleber und Fischrogen gehörte früher zur ganz normalen Küche. Die europäische, die deutsche ebenso wie die Alpenküche können sich durch echte Regionalität profilieren.
Als weiteres Beispiel erwähnte der Foodscout noch den österreichischen Koch Heinz Reitbauer vom Restaurant Steirereck in Wien. Dieser „züchtet“ sich seine Bauern hin, erklärte Flammer. Er fordert die Köche auf, zu den Bauern hinzugehen. Gleichzeitig müssten aber auch die Bauern zu den Köchen hingehen. Beide Seiten müssten sich viel mehr miteinander unterhalten, wer welche Qualität zu welchem Preis verlangt. Nur gemeinsam können wir so die besten Produkte finden, die besten Qualitäten auf den Tisch bringen. Es könnte zum Beispiel die Aufgabe von Slow Food sein, hier zu vermitteln.
Den abschliessenden Vortrag hielt Professor Dr. Volkmar Nüssler vom Tumorzentrum München zum Thema „Haltung und Gesundheit: Gibt es das überhaupt? Gutes und gesundes Essen zwischen Anspruch und Ideologie“. Sein zentraler Satz war dabei: „Gutes Essen kann nicht billig sein“, ein Aufruf Bio und Fairtrade zu kaufen. Jedoch war sein Beitrag eher ein Erstsemestervortrag mit diversen Allgemeinplätzen, die in dieser Symposium-Runde meines Erachtens sehr allgemein und sehr überflüssig waren. Schade drum, hier hätte etwas mehr „Fleisch“, ein höherer qualitativer Inhalt gut getan. Beispielsweise eine Präsentation der Erkenntnisse aus dem Buch „Krebszellen mögen keine Himbeeren“ von kanadischen Krebsforschern.
In Kooperation mit Eckart Witzigmann hat Professor Nüssler und das Tumorzentrum München mit der Witzigmann Academy die Koch-App „HealthFood“ für Tumor-Patienten entwickelt, die gratis im App-Store und bei Google Play erhältlich ist.
Das schreiben die anderen:
- Eckart Witzigmann im Interview bei Worlds of Food
- Die deutsche Küche neu entdecken bei Worlds of Food
- Gourmino-Express
- Symposium Die Deutsche Küche bei Events München
- Die Zukunft unserer Küche in der tz
- Gehobene Küche braucht Profil in der AHGZ
ECKART
Der internationale Eckart Witzigmann Preis ist eine der bedeutendsten Ehrungen für herausragende Verdienste um Kochkunst und Esskultur: Mit dem ECKART würdigt Eckart Witzigmann, als „Koch des Jahrhunderts“ geehrt, seit dem Jahr 2004 einzigartige Leistungen der Kochkunst und das besondere Engagement in dem facettenreichen Themenkreis der Lebenskultur. In Partnerschaft mit der BMW Group vergibt die WITZIGMANN ACADEMY jährlich die Preise in den Kategorien „Große Koch-Kunst“, „Innovation“ und „Lebenskultur“. Seit dem Jahr 2013 gibt es zudem einen ECKART für „Kreative Verantwortung und Genuss“, dotiert von der BMW Group mit 10.000 Euro.
Zu den bisherigen Preisträgern gehören Daniel Boulud (New York City), HRH Prince Charles of Wales (Highgrove), Elena Arzak (San Sebastian), Anne-Sophie Pic (Valence), Harald Wohlfahrt (Tonbach), Dieter Kosslick (Berlin), Ferran Adrià (Barcelona), Marc Haeberlin (Illhaeusern), Joël Robuchon (Paris), Alex Atala (Sao Paulo), Jon Rose (Los Angeles), Mick Hucknall (Manchester) u.v.a.