Der Tourismus hat es schwer im letzten Jahrzehnt. Terroranschläge, Revolutionen, autokratische Regime und Naturkatastrophen können uns so manche frühere Lieblingsdestination madig machen. Früher zog es die Massen in Richtung Türkei und Ägypten, auch Tunesien war eine beliebte Destination. Mit dem Arabischen Frühling, der in Tunesien anfing und in Ägypten weiterging, war vieles passé. Die autokratische Führung der Türkei vermiest uns das gute Gefühl nach Kleinasien zu reisen. Oder ist das jetzt alles schon wieder vergessen? Füllen Schnäppchenpreise die türkischen Hotelbetten? Wird Hurgada und El Gouna schon nicht mehr als Ägypten angesehen? Wir fragen dazu Dr. Jürgen Kagelmann, Dozent für Tourismuspsychologie – und auch Co-Autor bei Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin.
Wie reisen wir im Jahr 2025? Wie sieht die Zukunft des Tourismus aus?
Was wird sich in den nächsten Jahren am nachhaltigsten verändern?
Dr. Jürgen Kagelmann: Vor allem das immer stärkere Auseinanderklaffen im Reiseverhalten zwischen einkommensstärkeren und einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen ändert sich. Die beiden Extreme Luxus und Masse werden am stärksten wachsen. Mittelfristig ist das Thema Preiserhöhungen allerdings schwer einzuschätzen.
Es kommt auf jeden Fall zu noch mehr Digitalisierung. Das bezieht sich auf das Buchungsverhalten, die Verkehrsmittel, die Suche der Unterkunft und die Unterhaltungsangebote. Dementsprechend kommt es höchstwahrscheinlich zu noch mehr „Dienstleistungswüste“ im unteren und mittleren Preissegment.
Außerdem werden wir eine anhaltende Zurückhaltung gegenüber als unsicher geltenden Zielen verbuchen.
Werden wir überhaupt noch reisen oder werden Augmented Reality und 3D uns den Urlaub nach Hause bringen?
Ach, das wird doch wahnsinnig überschätzt. Das sind doch Spielereien.
Werden einige ihren Urlaub zu Hause verbringen infolge der Digitalisierung?
Das wird meines Erachtens völlig überschätzt. Auch viele von denen, die damit experimentieren, werden feststellen, dass ihnen wesentliches fehlt, wie etwa eine Aus-Zeit, ein zeitweiliger Abschied vom Alltag. Zumal sie die durch die neuen Möglichkeiten gebotenen Erfahrungen ja auch in der Tages- und Wochenfreizeit machen können.
Wohin führen uns Terrorismus und Naturkatastrophen?
Leider ist das nicht einfach zu beantworten. Es gibt keine generelle Antwort darauf. Jeder Anschlag, jede Katastrophe wird anders wahrgenommen, hat seine eigenen Hintergründe und trifft auf andere Ängste. Wenn überhaupt, gilt generell, dass Naturkatastrophen schneller „verarbeitet“ werden, weil hier fast immer klar ist, welches die Gründe dafür waren und was getan werden kann, um ähnliche Vorkommnisse zu vermeiden. Sie haben einen klaren Beginn und ein klares Ende.
Bei terroristischen Anschlägen ist das nicht so; hier dominiert die Unsicherheit, ob und was als nächstes und wo und wie folgen wird. Und vor allem wie „weit entfernt“ der Ort des Geschehens ist. Je weiter weg, in regionaler wie kultureller Hinsicht, um so eher wird das Geschehen verarbeitet, verdrängt und vergessen. Das hat etwas mit der wahrgenommenen Bedeutung des Geschehens für einen selbst zu tun.
Wie nehmen die Touristen das Thema Terrorismus an bestimmten Zielorten auf?
Beim Terrorismus kommt es darauf an, welche Bedeutung ihm im jeweiligen Kontext zugesprochen wird. Terroristische Anschläge in London, Berlin oder Barcelona werden noch (!) als Einzelereignisse und als „nicht charakteristisch“ für diese Orte wahrgenommen. Bei Anschlägen im arabisch-islamischen Kulturkreis ist das anders; es wird relativ lange dauern, bis eine derartige Destination ihr negatives Image verliert.
Kann man in Länder wie Türkei, Ägypten, Tunesien überhaupt noch oder wieder reisen?
Es sind ja zwei große Bereiche, die Sorgen machen: Zum einen die Angst vor terroristischen Anschlägen. Das scheint aktuell die Deutschen insofern weniger zu beschäftigen, als man sich daran in gewisser Weise gewöhnt hat. Zum anderen die Menschenrechtssituation in allen Facetten, und da scheiden sich allerdings die Geister. Viele „Reiselustige“ blenden etwa die Situation in Ägypten aus: Polizeiwillkür, Hinrichtungen, quasidiktatorische Verhältnisse… – Kann da ein preiswerter Urlaub „Spass“ machen? Ich persönlich kann das nicht verstehen, aber offenbar gibt es Leute, die die Verhältnisse 500 Meter von der eigenen Liegematratze entfernt total ausblenden können.
In Bezug auf die Türkei haben wir ein ziemlich einzigartiges Problem, weil sich viele Deutsche dort aufgrund der derzeitigen Politik bzw. den Regierungamtlichen Polemiken nicht mehr willkommen fühlen. Das macht neben der Wahrnehmung von militärischen und terroristischen Unsicherheiten und einer fragilen Menschenrechtslage einen weiteren Faktor der Unsicherheit aus. Auch wenn es zu scheinbaren “Erholungen” der Buchungslage kommt – und ich bin da sehr skeptisch- , kann das schnell wieder umschlagen, wenn es dem Regierungschef gefällt, wieder ein paar neue Frechheiten gegenüber Deutschland loszulassen. Aktuell fällt es mir schwer, zu glauben, dass eine beträchtliche Anzahl Deutscher in die ach so billigen türkischen Destinationen fährt, wenn der erwähnte Regierungschef sein Militär ein paar Hundert Kilometer weiter in den Krieg geschickt hat.
Tunesien und besonders Ägypten tun sich schwerer, weil sie als vergleichsweise exotischer und weniger stabil gelten.
Die westlichen Mittelmeerländer, vor allem Spanien, sind aufgrund der Unsicherheit in den islamischen Mittelmeerländern völlig überfüllt. Die Spanier können sich Sommerurlaub im eigenen Land kaum noch leisten, kommen dafür nach Deutschland. Wird dieser Trend langfristig anhalten, sich gar verstärken?
Ich kann mir kaum vorstellen, dass für Spanier Deutschland eine finanziell günstigere Region ist als das spanische Heimatland. Da gibt es Billigeres, zum Beispiel die Dominikanische Republik. Im übrigen gibt es innerhalb Spaniens nach wie vorpreiswerte Gebiete zum Urlaubmachen, es müssen ja nicht die Kanaren sein.
Wie akut sehen Sie das Thame Overtourism, das in den Medien gerade hochgekocht wird? Was könnte dagegen helfen?
Eine „Umkehrung“ der Urlauberströme oder gar ein „gleichgewichtiger“ Austausch – also gleichviel Deutsche reisen nach Spanien wie Spanier nach
Deutschland reisen – ist kurzfristig schwer, aber unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels durchaus vorstellbar. Nach dem Wegfall islamisch geprägter Mittelmeerländer gibt es außer Spanien, Italien und Griechenland auch in Europa noch Kapazitäten für einen Badeurlaub, z. B. Portugal, Kroatien, Bulgarien, Rumänien oder – langfristig – Albanien.
Der Klimawandel macht Deutschland für Sonne- und Strandurlauber noch attraktiver. Hinzu kommen noch aufnahmefähige außereuropäische Ziele in Lateinamerika und Südostasien.
Welche Länder sind die künftigen Shooting Stars im Tourismus?
Es gibt immer noch genügend außereuropäische Ziele in Lateinamerika und Südostasien.
Werden diese signifikant hohe Zuwächse haben?
Das ist schwer zu sagen aufgrund zahlreicher Faktoren und Einflüsse. U.a. spielen dabei die entsprechenden Bemühungen der Tourismuspolitik der jeweiligen Destinationen (Infrastruktur, Werbung) eine Rolle. Neben Ost- und Südosteuropa könnte Russland zulegen, bei den außereuropäischen Zielen Mittel- und Südamerika und China.
Welches Potential hat bspw. der Iran?
Der Iran wird meines Erachtens stark überschätzt. Er ist stark abhängig von schnell wechselnden politischen Faktoren. Die Menschenrechtslage wird auf längere Zeit noch viele Menschen davon abhalten, dorthin zu fahren. Wollen wir jetzt alle dahin fahren, um uns die Religionspolizei anzusehen Außerdem sehe ich dort nur ein sehr begrenztes Potential aufgrund zahlreicher auch für Touristen geltender Restriktionen (Religionspolizei) insbesondere für Frauen. Der Iran bleibt also nur für Spezialisten interessant.
Gibt es Länder in Mittel- und Südamerika, Afrika, Asien, die noch Potential haben?
Selbstverständlich. Alle haben Potential. Aber man darf nicht unterschätzen, dass und wie intensiv sich die Deutschen über die Lage im Land informieren. In die Wahl zukünftiger Destinationen gehen so viele Faktoren – neben den landschaftlichen, kulturellen, historischen etc. –„Schönheiten“ ein, dass man es sich heute doch schon genau überlegt. In angebliche neue „Trend“ ziele in Lateinamerika zu fahren, bedeutet, dass man den Nachteil akzeptieren muß, 11-13 Flugstunden in engen Sitzen und mit vielen Menschen zu verbringen. Grundsätzlich haben politisch „ruhige“ (!) Länder mit sehr gutem Image und positiver Entwicklung der Menschenrechte ein Potential, wie z.B. Costa Rica, Uruguay in Lateinamerika, und mit Abstrichen Thailand in Asien.
Der Klimawandel hat uns voll im Griff. Die Naturkatastrophen werden offensichtlich häufiger und intensiver. Worauf müssen wir uns in Deutschland, in Europa künftig im Tourismus einstellen? Was für eine Bedeutung hat das für die Destinationen, die Hoteliers?
Wenn überhaupt, und ich halte nicht viel von solchen Vermutungen, dann ist zu berücksichtigen, dass „der“ Deutsche überdurchschnittlich ängstlich und sicherheitsorientiert ist, sich also im Zweifelsfall für die Nummer sicher der Destinationen entscheidet. Das sind so „gefühlte“ Überzeugungen…
Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf den Tourismus in der Zukunft haben?
Die steigenden Urlauberzahlen nicht nur aus dem Inland sondern auch aus dem Ausland dürften sich überproportional auf die deutschen Küstengebiete auswirken. Nordeuropa und auch Russland könnten davon profitieren.
Ein bayerisches Dorf beschliesst, auf die Alpenkonvention zu pfeifen und einen Lift durch ein Naturschutzgebiet zu bauen. Wie hoch schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass sich dieser Bau jemals amortisiert?
Grundsätzlich gilt, dass – wie immer man das auch bedauern mag – der Deutsche zwar viel davon redet, wie wichtig er Nachhaltigkeit, Ökologie und Sanften Tourismus findet, das sein konkretes Verhalten jedoch ein ganz anderes ist. Es gibt keine „Massen“, die ökologisch bewusst buchen.
Es kommt darauf an, ob der Lift (vornehmlich) im Sommer oder im Winter betrieben wird. Reine Ski-Lifte werden von der spürbaren Zurückhalten der Menschen für den Ski-Urlaub betroffen sein.
Wo drückt Sie der Schuh in der digitalen Welt?
Unter zuviel Gedöns und Blabla bei der Ankündigung ständig neuer Novitäten. Man muss nicht alles ernstnehmen oder nachmachen oder ankaufen, was die Industrie neu entwickelt und anbietet. Häufig wäre es schön, sich die Frage zu stellen: Was nutzt das wirklich den Menschen ..?
Herr Professor Dr. Kagelmann, wir bedanken uns für dieses Gespräch!
Der Interviewpartner Dr. Jürgen Kagelmann:
Dr. Jürgen Kagelmann ist Diplom-Psychologe, Tourismusforscher und Reisejournalist. Er ist derzeit Dozent für Tourismuswissenschaft an der Dualen Hochschule Ravensburg (Freizeit- u. Reisesoziologie; Gesundheitstourismus) sowie Verleger des Profil Verlags München Wien. Außerdem hat er als Co-Autor einige Artikel bei Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin veröffentlicht.
Bücher von Dr. Jürgen Kagelmann:
Weitere Interviews in der Reihe „Die Zukunft des Tourismus“:
- Prof. Dr. Torsten Kirstges: Thomas Cook: Das alte Morsche ist zusammengebrochen