Wohin reisen die Deutschen, die Touristen aus Europa und aller Welt im Jahr 2016? Es ist nicht einfacher geworden. Den Europäer fallen in diesem Jahr drei Länder weg, die mit ihrer Lage am Mittelmeer und Roten Meer viele Touristen in den letzten Jahrzehnten aufgenommen haben. Doch da mögen vor allem die Türkei und Ägypten in diesem Jahr noch so sehr mit übergrossen Werbeplakaten die Wege zum Berliner Messegelände, auf dem die ITB Berlin 2016 in der vergangenen Woche statt fand, zukleistern: Derzeit will keiner in die Krisenländer Ägypten, Türkei oder Tunesien. Wohin also geht die Reise? Wir versuchen uns an einer Messe-Nachlese und Reise-Vorschau.
Das wichtigste Schlagwort ist die „gefühlte Sicherheit“. Es ist irrelevant, ob an einem bestimmten Ort wirklich etwas passieren könnte. Es ist wichtig, was der Urlauber fühlt. Keiner will im Urlaub mit Flüchtlingen oder schlimmstenfalls an den Strand geschwemmten Leichen zu tun haben. Das ist alles tragisch, schlimm, jeder hat Verständnis für den Überlebenskampf der Syrer. Gerade die zwei Länder, die mit am meisten unter den kriegerischen Auseinandersetzungen zu leiden haben, machten zur ITB Berlin 2016 am meisten Werbung: Ägypten und die Türkei. Doch in den paar Wochen Urlaub möchte jeder entspannen. Denn der Urlauber sucht im Jahr 2016 nach Sicherheit, nicht unbedingt nach Abenteuern. Bombenstimmung und Mordsgaudi sind nur im übertragenen Sinne das, was der Urlauber will. Egal ob junger Party-Urlauber oder gestresster Arbeitnehmer auf der Suche nach Entspannung und Erholung: abseits aller Empathie für die unterschiedlich leidenden Menschen, will man im Urlaub nicht auch noch damit konfrontiert werden. Was heisst das für die unterschiedlichen Destinationen?
Denn selbst das diesjährige Partnerland Malediven muss sich der Kritik stellen. In Relation zur Gesamtbevölkerung dieses traumhaft schönen Inselparadieses kommen die meisten Daesh-Kämpfer von den Malediven. Arbeitslose, junge Männer, die im religiösen Fanatismus einen Weg suchen. Gleichzeitig gab es in dem muslimischen Land schon immer wieder Versuche, den Alkohol und andere westliche Einflüsse einzuschränken. Die Touristen sind wie ein scheues Reh: Wenn hier ein Regierungsvertreter einmal zu laut und zu weltweit vernehmlich an der falschen Stellschraube dreht, dann stehen schlagartig sehr viele traumhaft schöne Hotels leer, sind sehr viele Insulaner ohne Einkommen.
Die Leidtragenden sind die touristischen Dienstleister in den betroffenen Ländern. Es mag an der türkischen Riviera noch so schön, liberal und friedlich sein, die Türkei steht derzeit als Reisedestination auf keinem Wunschzettel. Den Deutschen ist es zu nah am Kriegsgebiet, die Russen kommen derzeit aus bekannten Gründen erst recht nicht in die Türkei. Die Reiseveranstalter reagieren und stornieren ihre Türkeiflüge. Das hat zur Folge, das erst recht keiner „mal eben schnell last minute“ günstig gen Antalya, Belek, Side, Alanya oder Bodrum fliegen kann. Aber was bieten die deutschen Tour Operator, wie die Reiseveranstalter auf „Neusprech“ genannt werden, stattdessen an? Wie will die Reiseindustrie den Touristen die Verunsicherung nehmen?
Die Russen, Deutschen und Engländer kommen derzeit auch nicht mehr nach Ägypten. Wobei insbesondere Sharm-El-Sheikh auf der Gaza-Halbinsel leidet, Hurghada und Umgebung hingegen noch etwas besser laufen könnten.
Besonders krass und beeindruckend: Ägypten hat in diesem Jahr erstmals eine ganze Halle belegt. Doch ob das für dieses Jahr hilft? Oder kurbelt das den Tourismus im Jahr 2017 an? Es darf dort eben nichts mehr passieren. Doch das garantiert natürlich keiner.
Unter den Flüchtlingsströmen und ihren lebensgefährlichen Wegen leiden auch die griechischen Inseln in der Nähe zur türkischen Küste. Also wird es in Griechenland in diesem Jahr Gewinner und Verlierer geben. Denn Urlaubsziele, die weit genug weg sind, profitieren davon. Kreta ist ausgebucht, die cykladischen Inseln wie Mykonos und Santorini können sich eh nicht beschweren.
Eine ähnlich ambivalente Situation stellt sich den Kreuzfahrern. Die Kreuzfahrtschiffe haben bereits ihre Fahrtrouten für 2016 umgeändert. Sie haben ihren Gästen zugehört und auf eine gefühlte Angst reagiert. Kein Gast an Bord eines Kreuzfahrtschiffes will mitten während der schönsten Zeit des Jahres mit Flüchtlingen im Überlebenskampf konfrontiert sein. Das Horrorszenario in diesem Falle hiesse, dass man während seiner Luxuskreuzfahrt auf der AIDA, der TUI Mein Schiff oder eines der vielen Schiffe von Costa Cruises, MSC und den vielen anderen Betreibern plötzlich Flüchtlinge aus Nussschalen auf offener, hoher See retten muss. Hier winkt das Sankt-Florians-Prinzip: Ja, die Menschen müssen gerettet werden. Aber das soll doch bitte jemand anderes machen. Diese Menschen, denen die Hütte ausgebombt wurde, die nur noch ihr Leben haben, mögen doch bitte nicht mit der Glitzer-Glamour-Gloria-Welt ausgesetzt sein. Gleichzeitig werden die Kreuzfahrtriesen immer größer. Gerade erst hat AIDA seinen nächsten Mega-Pott ausgeliefert bekommen: die AIDAprima hat keine deutschen Arbeitsplätze sondern japanische gesichert und wurde von Mitsubishi Heavy Industries in Nagasaki gebaut. Die 300 Meter lange AIDAprima sei das elfte Schiff des Unternehmens und der erste Typ einer neuen Generation, teilte Aida in Rostock mit. Sie beherberge unter anderem 1.643 Gästekabinen sowie zwölf Restaurants und 18 Bars. Die deutschen Schiffe nehmen jetzt ähnliche Dimensionen an wie diejenigen des US-amerikanischen Mutterkonzerns Carnival Cruises. Bettenburgen auf hoher See.
Frankreich wird in diesem Jahr mit Sicherheit gut dastehen. Die Fußball-Europameisterschaft wird im Sommer genügend Touristen in das „Oktagon“ bringen, die für ausreichend Umsatz an den Spielstätten sorgen werden. Die Erfahrung aller vorigen grossen Sportereignisse wie Fussball-Weltmeisterschaften, Fussball-Europameisterschaften und Olympischen Spiele zeigt, dass die Preise in dieser Zeit überall astronomisch sind. Klar, der Betriebswirt nennt das Skimming, hier wird der höchstmögliche Preis abgeschöpft. Der Münchner kennt das vom Oktoberfest, das sind die zwei Wochen im Jahr, in denen sich noch die letzte Pension für den Rest des Jahres saniert. Genauso vermuten wir, gestützt auf den Erfahrungen diverser Grossereignisse, dass danach die Preise fallen könnten. Aber die Franzosen, Italiener und Spanier gehen gern im Juli und August in den Urlaub. Günstiger wird es also erst wieder ab September.
Gleichzeitig schwingt in Gesprächen mit Touristikern die Sorge mit, dass Anschläge wie im letzten Jahr in Paris dann jederzeit und überall passieren könnten. Der Aufschwung könnte schlagartig vorbei sein. Der Horror für dieses von Gott so sehr verwöhnte Land. Denn wirtschaftlich hat Frankreich derzeit extreme Probleme und könnte den Anschluss an das prosperierende Nord-Europa verpassen. Doch Frankreich im Allgemeinen und Paris im speziellen sind grundsätzlich sicher und immer eine Reise wert. Für uns als Genussmenschen ist Frankreich immer auf der Empfehlungs- wie auch der Wunschliste.
Italiens Küsten profitieren mit grosser Sicherheit ebenfalls von den Touristenströmen. Ob man jetzt noch in Jesolo & Co. ein freies Zimmer in der Hauptsaison ergattert?
Kommen wir zu den – sorry – „Kriegsgewinnlern“: Spanien und Portugal. Auf der ITB Berlin war überall einhellig zu vernehmen, dass die Urlauber derzeit das suchen, was sie kennen. Das tägliche Schnitzel heisst in diesem Sinne Balearen und Kanaren ebenso wie die spanische Küste. Wir hörten, dass sogar die ollen Betonburgen in Lloret de Mar und Benidorm reaktiviert werden, um die Massen an deutschen und anderen europäischen Touristen aufnehmen zu können. Und auch hier wird preislich verlangt, was geht. Auch Portugal gehört zu den lachenden Profiteuren der Krise. Hoffen wir, dass dies den beiden Ländern auch wirtschaftlich einigen Aufschwung bringt und der Arbeitsmarkt ebenso prosperiert.
ITB Berlin: Die Suche nach neuen Zielen
Die Touristen, die Tourismusindustrie hungert nach neuen Zielen. Doch müssen diese auch bezahlbar sein. Angeblich sei die Karibik wieder angesagt. Kuba nochmal sehen, bevor die US-Amis einfallen, so hiess es auf der Eröffnungsveranstaltung. Doch ist das durchaus kostspieliger als die Türkei oder Ägypten. Warum also nicht mal nach Südafrika? Das Land ist traumhaft schön und wenn man gewisse Spielregeln beachtet, dann ist es auch sicher. Der Löwe wartet. Doch muss man meines Erachtens nicht unbedingt gleich soweit reisen, um das faszinierende Tierreichtum Afrikas bewundern zu können. Die East African Community (EAC) hat vor einem Jahr auf der ITB Berlin ein „Single Visa“ gestartet. Bisher nehmen Kenia, Uganda und Ruanda daran teil. Auch Ostafrika litt extrem unter der „gefühlten Sicherheit“. Weil einige wenige Staaten in Westafrika unter Ebola litten, brach der Tourismus in Ostafrika zusammen. Das ist in etwa so, wie wenn in der Bretagne in Frankreich eine Seuche ausbrechen sollte und deshalb kein Tourist mehr nach Berlin kommt. Der Tourismusminister von Kenia hat auf der ITB Berlin die Hoffnung ausgesprochen, dass die Deutschen wieder verstärkt in das wunderschöne afrikanische Land reisen.
ITB Berlin: Die Trends 2016
Einen besonderen Schub wird dieses Jahr wohl Sri Lanka bekommen. Bereits im letzten Jahr intensivierte das Land seine Presseeinladungen für Reisejournalisten. Die bekannte Reisebloggerin Christine Neder von Lily Diary verbrachte auf Einladung von L’tue mehrere Tage auf der Insel. Vor wenigen Monaten lud DER gleich um die 60 Reisejournalisten gleichzeitig nach Sri Lanka ein. Der Erfolg bleibt nicht aus, viele fühlen sich jetzt ermuntert, in dieses wunderschöne Land zu reisen, die Insel zu erkunden. Wir können Sri Lanka auch bestens empfehlen, haben wir uns ja selbst erst im letzten Jahr ein schönes Bild machen können und auf der ITB Berlin im vergangenen Jahr den Tourismusminister interviewt.
Kenia ist eh ein traumhaft schönes Land, von der Küste bis zum Landesinneren ergeben sich sehr viel Möglichkeiten. Sei es zum Baden in Richtung Mombasa oder zur Safari in die Masai Mara. Ein zweitägiger Zwischenstopp sollte auf jeden Fall für Nairobi eingeplant werden. Und dann sollte man die Gelegenheit nutzen und via Uganda Richtung Ruanda zu reisen. Auf der Suche nach den Berggorillas.
Oder wie wäre es mit dem Libanon? Ein paar Tage in Beirut, Ausflüge nach Byblos und in die Drusentäler sind eine wundervolle Abwechslung. Malaysia wäre auch mal etwas anderes. Das Land beeindruckte auf der diesjährigen ITB Berlin mit einem grossen, neuen Stand und einer faszinierenden Show. Das Big Kitchen Foodfestival in Kuala Lumpur hat mir im letzten Jahr grossen Appetit gemacht, das Land noch besser kennenzulernen. Und ich kann es Euch auch sehr ans Herz legen.
Übrigens: Wir Deutschen sind schon lange nicht mehr die Reiseweltmeister. Diese Rolle haben die Chinesen mittlerweile übernommen. Chinesische Konzerne kaufen mittlerweile Hotels und Hotelketten auf, investieren im Westen. Aber sind die europäischen Hotels, die deutschen Hotels mittlerweile schon auf die chinesischen Touristen eingestellt?
Doch, egal, wo es Euch in nächster Zeit hintreibt, egal, wo Ihr Euren Urlaub oder Eure nächste Dienstreise verbringen werdet, wir wünschen Euch immer sichere Reisen und eine gesunde Wiederkehr!
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