Sterne, Punkte, Hauben oder Kochmützen – Wer sind die Aufsteiger, wer die Absteiger im Guide Michelin 2018? Immer im November dreht sich bei Gourmets, Gourmands, Köchen, Gastronomen und Hoteliers alles um die Neuauflagen von Guide Michelin und Gault Millau für das kommende Jahr. Insbesondere im Vorfeld wird in der Branche spekuliert, wer die Auf- und Absteiger sein werden. Wer wird mit einem zusätzlichen Stern geadelt? Wer kann seine Leistungen vom Vorjahr bestätigten? War der Guide Michelin lange der Gralshüter der konservativen Kochkünste und der Gault Millau lobte die kreativen und jungen Wilden, so scheinen sich mittlerweile die Schwerpunkte verschoben zu haben. Der Guide Michelin lobt die Aromenspektakel und Pinzettenkreationen, der Gault Millau hängt am Bewährten. Le Gourmand – Das Geniesser-Magazin fragte die sechs Gastro-Kritiker, Foodjournalisten und Gourmet-Blogger Stefan Chmielewski, Wolfgang Faßbender, Derk Hoberg, Michael H. Max Ragwitz, Joachim Römer und Michael Schabacker, was für sie die potentiellen Highlights für das Jahr 2018 sein könnten.
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Guide Michelin 2018: Das ewige Problem mit der Geheimhaltung
Für das Jahr 2017 standen die Sieger, die Verlierer und die Sterne des Guide Michelin 2017 seit 1. Dezember 2016 fest. Doch nicht etwa exklusiv für die anwesende Presse auf der grossen Gala in der Mercedes-Benz Niederlassung in Berlin am Salzufer. Der Guide Michelin 2018 lag deutschlandweit schon in einigen Büchereien aus. Der Verlag wurde von den Büchereien desavouiert. Die grosse Gala degradierte somit zur Show ohne Neuigkeitscharakter. Wir können davon ausgehen, dass im Verlag des Guide Michelin einige Leute nicht sehr erfreut waren. Doch die Gala war schön.
Im Jahr 2017 klappte es mit der Geheimhaltung für den Guide Michelin 2018 viel besser. Doch konnte ich persönlich diesmal leider nicht dabei sein, da ich auf dem Weg in die Dominikanische Republik war. Daher stellte ich meine Fragen in der Woche vor der Guide Michelin Sternevergabe. Aufgrund von technischen Problemen auf dieser Seite ging der Artikel leider nicht rechtzeitig vorher online. Es ist eben nicht jeder perfekt… Doch nimmt das nicht die Aktualität und Tendenzen und insbesondere nicht die persönliche Meinung der Profis.
Immer wieder gibt es Irrtümer, Gerüchte und Vermutungen, wie die Sterne vergeben werden. Wir haben für Euch an dieser Stelle einige Fakten zusammengetragen.
Guide Michelin 2018: Was tippen die Experten?
a) Was sind Deine persönlichen Highlights in diesem Jahr in der Gastronomie?
- Chambre Séparée in Gent: Kobe Desramaults hat hier alles blendend zusammengefügt: Bestes regionales Gemüse und Meeresfrüchte aus der Nordsee, ein Theken-Restaurant, wo wirklich vor den Augen des Gastes auf offenen Feuer gekocht wird und das alles in herzlicher Atmosphäre mit grandiosem Geschmack.
- „Aqua“ in Wolfsburg. Weil man in Deutschland kaum irgendwo so gut, entspannt und interessant essen kann. Sven Elverfeld hat über die Jahre eine souveräne Handschrift entwickeln und bleibt nicht stehen.
- Interessanteste Neueröffnungen waren „Intense“ und „Ernst“. Zwei mutige Restaurants, die auf unterschiedliche Art ihre Vorstellung von Gastronomie umsetzen.
- Vorbildlich und richtig gut „Zur Golden Korn“ von Pit Punda und Alfred Friedrich in Frankfurt-Eschersheim.
Wolfgang Faßbender:
Meine persönlichen Highlights aus 2017 waren Essen im Flocons de Sel in Megève, im Dstage in Madrid und der Besuch der Madrid Fusion Manila, aber auch ein Besuch bei Nils Henkel oder die immer wieder geschätzten Weinstuben der Pfalz wie die Zwockelsbrück.
- National: Nils Henkels Restaurant-Rückkehr. Im schönen Rheingau und noch dazu auf Burg Schwarzenstein – tolle Küche in schöner Umgebung!
- International: Markus Glocker im Bâtard in New York. Seit 2014 führt der Österreicher das Restaurant in TriBeCa und ist längst über den Geheimtipp-Status hinaus.
Michael H. Max Ragwitz:
Meine nachhaltigsten Erlebnisse hatte ich bei Benjamin Maerz in Bietigheim-Bissingen und bei Tom Wickboldt in Heringsdorf. Beide stehen für eine Küche, die ich schätze: Unprätentiös, geschmacklich-kombinatorisch innovativ und mit originärer Präsentation.
Joachim Römer:
Mit einem Besuch im Juni bei Klaus Erfort in Saarbrücken habe ich nun alle zehn deutschen Dreisterne-Häuser durchprobiert. Meine Einschätzung hat sich dadurch nicht geändert: Nach wie vor halte ich meinen Namensvetter Joachim Wissler (Schlosshotel Bensberg) für den Größten. Nicht nur, weil er in meinem Jagdrevier arbeitet, sondern allein schon, weil die Gastro-Profis ihn zum wiederholten Mal als die Nummer Eins ihrer Zunft gewählt haben.
Michael Schabacker:
Ich bin gespannt, wie viele Sternegastros in den kommenden Monaten / Jahren dicht machen. Einkauf/Personal/Pacht: alle Kosten steigen und die deutsche Klientel spart wie schon seit Jahrzehnten eher am Genuß und Essen als am Auto oder Kugelschreiber. Keine Ahnung wer einen neuen Stern bekommt oder auf-/abgewertet wird. Sicher ist: mehr als eine Fussballmannschaftsstärke wird’s im Drei-Sterne-Bereich wohl kaum geben. Den meisten Zuwachs haben wir immer Einsterner. Interessant wird’s wie immer wohl kaum werden. Der Osten stinkt ab, der südliche Westen jubelt. Mal sehen, was Wohlfahrt vermeldet. Gerade Lebenswerkpreis und die Kündigung brennt noch in der Hosentasche. Vergleich hin oder her: da wurde ein Denkmal gestürzt.
b) Welches sind für Dich persönlich die Auf- und Absteiger? Wer hat in Deinen Augen einen Stern erstmalig verdient? Wer sollte noch unbedingt einen weiteren erhalten? Und wer sollte noch eine Bedenkpause erhalten und eine Reihe zurücktreten?
- Das „Tulus Lotrek“ in Berlin ist ein wunderbares Restaurant und Kandidat.
- Sachsen-Anhalt verdient einen Stern: Robin Pietsch im „ZeitWerk“ in Wernigerode.
- Günter Rönner im „Akazienhof“ in Duisburg kämpft ehrgeizig darum, vielleicht wird’s dieses Jahr was.
- „Fritz’s Frau Franzi“ in Düsseldorf könnte dabei sein und es wäre nicht verwunderlich.
- Verdient hätte ihn Benjamin Peiffer in seinem neueröffneten „Intense“ – zeitlich könnte es knapp gewesen sein.
- Das L.A. Jordan mit Daniel Schimkowitsch ist ein unbedingter Zweisterne-Kandidat.
Ich gönne jedem seine Auszeichnungen. Natürlich gab und gibt es Restaurants, da frage ich mich, warum haben die jetzt diese oder jene Bewertung. Das liegt in der Natur der Dinge. Schade ist, wenn man sich auf seinen Lorbeeren ausruht – da dürfte auch der Michelin mutiger nach unten agieren.
Um eine Bedenkpause bitte ich beim Teilen von „Gastro-Jammer-Artikeln“ von klickgeilen Gastroportalen. Auch sich als Gastro-Kritiker als alleinige Instanz zu positionieren, ist nicht mehr zeitgemäß.
Wolfgang Faßbender:
Zu Recht aufgewertet wurden zum Beispiel Wolfgang Kuchler in Wigoltingen (Schweiz) oder Geisels Werneckhof. Auch die Sterne für Bread & Roses (inzwischen Dr. Kosch) oder Nenio in Düsseldorf zeugen davon, dass der Michelin neue Konzepte würdigt. Ein, zwei weitere Kandidaten für drei Sterne sehe ich in Deutschland (z.B. Atelier in München), in Wien verdient das Steirereck endlich mal drei Sterne. Im Prinzip sind die Wertungen des Michelin in Deutschland aber weitgehend nachvollziehbar – beim Gault Millau gilt das weniger.
Derk Hoberg:
Das möchte ich mir nicht unbedingt anmaßen, da gibt es andere, die das zu ihrer Aufgabe gemacht haben. Klar ist aber, dass Nils Henkel mit mindestens zwei Sternen zurückkehrt. Falls nicht, sollten jene „anderen“ nochmals über ihre Aufgabe nachdenken.
Michael H. Max Ragwitz:
Welches sind für Dich persönlich die Auf- und Absteiger?
Ich halte nicht viel von solchen Klassifizierungen. Zumal mir die Bewertungen der führenden Restaurantführer wie Guide Michelin und Gault Millaut im Detail durchaus ambivalent scheinen. Im Bereich der Spitzenküche, wie immer man die definiert, sind mir Begriffe wie Auf- und Absteiger eher suspekt und mit vielen Unwägbarkeiten und subjektiven Nebenwirkungen verbunden. Einer, der aber mit einem neuen gastronomischen Konzept (s)einen erfolgreichen Weg weiter beschreitet, ist Tom Wickboldt. Das ist Sterneküche, wie ich sie mir vorstelle.
Wer hat in Deinen Augen einen Stern erstmalig verdient? Wer sollte noch unbedingt einen weiteren erhalten?
Das liegt trotz aller scheinbar objektiven Kriterien der Guides weitgehend im Ermessen der Tester. Für mich entsteht der Eindruck, dass man in vielen Fällen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und auch Publicity entwickeln muss, um sternemäßig geadelt zu werden. Soll auch heißen, man muss bekannt sein in der Szene. Da haben es Köche wie Günter Rönner in Duisburg und Artur Frick-Renz in Goppertsweiler vergleichbar schwerer als Kollegen, die sich gern im Glanz von sogenannten Hochglanzmagazinen sonnen, die im Detail nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind
Köche wie Ronny Siewert in Heiligendamm haben den zweiten Stern längst verdient. Und Benjamin Unger in Aue kocht längst deutlich über Bib Gourmand Niveau. Ich habe im Übrigen ein Faible für die Köche aus der sogenannten zweiten Reihe, die vielfach auf einem Niveau kochen, das dem ihre Sterne-Kollegen nicht wirklich nachsteht. Respekt übrigens vor Altmeister wie Johann Lafer, der noch einmal richtig Gas gibt und seinen kulinarischen Intentionen im besten Sinne des Wortes Geschmack verleiht. Der weiß übrigens auch, das ein Stern keine One-Man-Show, sonder harte Teamarbeit ist.
Und wer sollte noch eine Bedenkpause erhalten und eine Reihe zurücktreten?
Keiner. Denn das entbehrt jeder Seriosität und würde der Subjektivität noch mehr Tür und Tor öffnen. Ich meine aber, ohne Namen zu nennen, dass so mancher Sternekoch sich längst mehr oder weniger auf den Lorbeeren ausruht und auf seinen Bekanntheitsgrad setzt. Es wäre ein witziges Experiment, einmal 10 Köche aus dem Sterne- und Nicht-Sterne-Bereich einer fachkundigen Jury einer Art Blind Tasting zu unterziehen. Die Ergebnisse wären in jeder Beziehung sehr aufschlussreich.
Joachim Römer:
Ralf Marhencke im Kölner Poisson ist reif für einen Stern. Martin Rehmann im Landgasthof Karner kriegt ihn hoffentlich wieder, nachdem er sein Restaurant in Prien am Chiemsee aufgegeben hat – trotz des unappetitlichen Ortsnamens Frasdorf. Maier und Becker in ihrem Maibeck in Köln haben nie einen Stern gewollt und kochen bewusst dran vorbei. Stern kann weg – sie sind auch so gut.
c) Welcher Trend hat das Jahr 2017 bestimmt? Welchen Ausblick gibst Du auf 2018?
Stefan Chmielewski:
2017: „Brutal lokal“, „nova regio“, Regionalität – viele Namen, ein Trend. Dazu „Beyond Sweetness“: alkoholfreie Getränkebegleitungen, das ist spannend und wird sicherlich noch wichtiger.
2018 werden dann nach den Zutaten regionale Gerichte im Fokus stehen. Kandidaten „Ursprung“ von Andi Widmen auf der Ostalb und besonders das „TISK“ in Berlin – Kalbsleber Berliner Art, Broiler, Buletten: eine Regionalküche, das Besser-Gasthaus fehlt flächendeckend bisher auf ganz hohem Niveau. Das passt auch zum Trend zu „Konkretem“ auf dem Teller. Rustikales und auch Klassisches, modern-leicht, war nie weg, aber erlebt ein Revival, Sergio Herman macht’s im AirRepublic vor.
Wolfgang Faßbender:
Es liefen 2017 viele Trends nebeneinander her. Schön war, dass sehr einfach wirkende Restaurants immer mehr gewürdigt wurden – und werden. Der Trend zur Ultraregionalität scheint sich abzuflachen, was gut ist, der zu regionalen Produkten, wo es Sinn ergibt, dagegen nicht: auch gut. Der Trend zum Burger hält leider immer noch an. Für 2018 hoffe ich, dass mehr Köche einen eigenen Stil entwickeln, hochwertige vegane Menüs anbieten und ihre Speisekarte noch weiter reduzieren werden.
Derk Hoberg:
Mit Trends ist das immer so eine Sache. Spitzenköche sind alle auf der Suche, nach einer eigenen Linie, die hin und wieder auch zum Trend wird. Beim Kochen konzentrieren sich die meisten derzeit auf wenige Zutaten, fokussieren sich in ihren Gerichten auf das Wesentliche, das Aroma der Produkte. Als viel wichtiger empfinde ich es heutzutage aber – und daher ist diese Antwort auch mehr als Appell zu verstehen –, verantwortungsvoll zu handeln. So kam ich in diesem Jahr erstmals mit dem „Basque Culinary World Prize“ in Berührung, einem hochdortierten Preis für Köche und ihre Projekte, die über den Tellerrand herausblicken, sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. Echte Trendsetter wie René Redzepi und Enrique Olvera sitzen in der Jury. In diesem Jahr gewann die kolumbianische Köchin Leonor Espinosa, die mit ihrer Stiftung die ärmere Landbevölkerung ihres Heimatlandes unterstützt, ihnen seltene, in Vergessenheit geratene Lebensmittel abkauft und in ihrer Küche in Bogotá einsetzt. Solche Aktionen können und müssen in meinen Augen zum Trend werden und sich etablieren. Auch die Witzigmann Academy zeichnet seit Jahren nicht nur Köche für ihre Kochkunst aus, sondern verleiht den ECKART auch in den Kategorien Innovation und Kreative Verantwortung.
Die einen sagen so, die anderen so. Da machen Begriffe wie Street Food, Superfood, Food Pairing, Molekular, Nova Regio und „Brutal lokal“ die Runde. 2017 war für mich in diesem Zusammenhang vor allem auch von Street Food gekennzeichnet. Das hat natürlich seine Berechtigung und erreicht einen breit gefächerten Gästekreis. Und ich habe vielerorts auch erlebt, dass sich Gegensätze wie artifizielle Überhöhung der Präsentation und nahezu urbane Gestaltungsformen à la „Nobelhart und Schmutzig“ streiten.
Ich erwarte nicht, dass sich die Trends im Jahr 2018 signifikant unterscheiden. Mein Wunsch wäre es, dass der Koch keinem Trend nachjagt, sondern seinen eigenen Stil entwickelt und verfeinert. Wie das auf hohem Niveau geht, beweisen Sterneköche wie Daniel Schmidthaler in Fürstenhagen ebenso, wie Dirk Meinel auf dem Fichtelberg. Ich befürchte für 2018 aber auch Stilblüten mit neuen Trends, die die Welt eigentlich nicht braucht und nur kulinarische Möchtegerne als Gäste anlocken. Und auch der vermeintliche Trend, der das Gemüse als neues Fleisch definiert, ist ja wohl nichts Neues. Daa würde ich eher auf etwas exotischere Küche beispielsweise aus der arabischen Welt setzen. Ganz zu schweigen davon, dass regionales Bewusstsein weniger Slogan, sondern mehr Anspruch sein müsste.
Joachim Römer:
Da die Gourmets immer jünger und ungeschliffener werden, geht der Tischkultur so langsam die Puste aus. Damast, Silber und Kristall sind nur noch von uns Alten gefragt. Für die Jüngeren wird im Sterne-Haus die bunte Keramikschale mit dem Pot au feu von Jakobsmuscheln einfach ohne Untersatz auf den Tisch gestellt, der hoffentlich wenigstens ein Platzdeckchen hat. Das Fischbesteck ist fast völlig ausgestorben; mein Jahrzehnte langer Kampf für die Stoffserviette trägt aber endlich Früchte.
Ganz herzlichen Dank an die sechs Kulinarikjournalisten, Foodexperten und Geniesser für die Beantwortung meiner Fragen und die Mitarbeit! Und herzlichen Dank an die liebe Bloggerkollegin Bianca Murthy für die sympathische Gesellschaft bei der Guide Michelin Gala.
PS: Auch wenn dieser Artikel wegen technischer Probleme eine Woche verspätet erscheint, so zeigen die Antworten auch im Rückblick auf, wer Recht hatte und wer in welchen Restaurants noch Potential sieht, wer noch zu den Geheimtipps gehört.
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