Für einen Kreuzfahrtneuling ist ja alles das erste Mal. So auch das Tendern. Gastautorin Stephanie Freienstein berichtet von ihrer Traumreise mit der MS Deutschland: Nachdem wir nun schon eine ganze Weile den Blick von unserem Traumschiff auf Helgoland werfen konnten, drängt nun doch die Neugier auf die von der Geschichte gebeutelte Insel. Wenig charmant liegt sie da, felsig, platt, aus der Ferne wirkt sie fast wie ein riesiges Tankschiff. Ich bin gespannt. Das bisschen, das ich weiß, ist eigentlich gar nicht so verlockend: Helgoland lebt überwiegend vom Tagestourismus. Von vielen Häfen der deutschen Nordsee und aus Hamburg fahren täglich Schiffe, spucken ihre Gäste aus, die einen Tag lang über die Insel herfallen, dort zollfrei Alkohol und überflüssige Souvenirs einkaufen, schlecht essen und sie abends wieder verlassen.
Doch bevor ich das persönlich in Augenschein nehmen kann, kommt, wie gesagt, das Tendern. Die Tenderboote sind geschlossene Boote, die im Ernstfall der Rettung dienen, aber auch eingesetzt werden, wenn das Schiff auf Reede liegt, weil es nicht in den Hafen einfahren kann. Über einen etwas wackeligen Ausstieg betritt man das Boot. Helgoland und damit auch die MS Deutschland liegen auf dem offenen Meer. Was auf dem Traumschiff kaum zu spüren war, macht sich jetzt umso deutlicher bemerkbar: Seegang. Das kleine orangefarbene Boot schaukelt kräftig auf und ab und während der eigentlich nicht sehr langen Überfahrt wird doch das ein oder andere Gesicht etwas grün.
Doch dann ist das kleine Hafenbecken von Helgoland erreicht und nach einem Tag auf dem Traumschiff haben wir wieder festen Boden unter den Füßen.
Mein erster Eindruck ist vor allem Erstaunen: Zunächst ist so gar nichts von der Kargheit aus der Ferne zu spüren. Das Unterland ist viel lieblicher, als erwartet, doch es ist nicht groß. Die eigentliche Inselfläche befindet sich auf den typischen roten Felsen, die steil in die Höhe ragen und die es zu erklimmen gilt. Aber wer nicht nur nach oben schaut, sondern sich gelegentlich umdreht, wird belohnt mit einem Panorama, das seinesgleichen sucht: Mit jedem Höhenmeter weitet sich der Blick zum Unterland, zur Düne, Helgolands Badeinsel, über das Meer und erinnert – zumal bei den sommerlichen Temperaturen – an deutlich südlichere Gefilde, etwa Madeira.
Oben angekommen steht man unvermittelt im Ort. Dicht an dicht drängen sich die Häuser. Privatsphäre scheint hier ein kostbares Gut zu sein. Natürlich auch die unvermeidlichen Souvenir- und Getränkeläden, in denen man zwar Alkohol in rauen Mengen bekommt, aber suchen muss, wenn man nur ein Wasser kaufen möchte.
Hier wollen wir nicht verweilen. Und so richten wir unseren Schritt Richtung Lange Anna und erleben zunächst eine große Überraschung: Eine Kleingartenanlage! Unglaublich: lauter kleine Lauben, dicht begrünt, individuell gestaltet und immer mit einem gigantischen Blick übers Meer. Hier also haben die Helgoländer ihren privaten Rückzugsraum. Denn auch, wenn die Touristen auf den Wegen unterwegs sind: Einblick in die Gärten bekommen sie nur spärlich. So öffentlich die Häuser im Ort wirken, so abgeschottet sind die Lauben. Ein Paradies für Einheimische. Und die Anlage ist so groß, dass man meinen möchte, hier hat tatsächlich jeder Helgoländer eine eigene Parzelle.
Der Weg führt weiter durch das Oberland. Gut ausgebaut sind die Wege der historischen Wanderung um die Insel, die hier oben mit ihren Wiesen und den Schafen eher an schottische Inseln erinnert. In regelmäßigen Abständen informieren Aufstelltafeln über die wechselvolle Geschichte Helgolands: Nicht von Dauer war die Karriere als Badeinsel. Viel einschneidender ist dafür seine Geschichte als militärischer Stützpunkt, die 1945 zur kompletten Vernichtung des Ortes führte. Später sollte die Insel unter den Briten sogar vollständig gesprengt werden, was zum Glück verhindert werden konnte. Seit 1962 gehört Helgoland wieder zu Deutschland. Nicht zuletzt zur Freude von MS Deutschland-Kapitän Andreas Jungblut, der gebürtiger Helgoländer ist.
Auch wenn die Bombentrichter, die Befestigungsanlagen und alte Wehrgänge den Besucher beständig an das Gewesene erinnern, ist es die Natur, die das Ewig-Bleibende immer wieder übermächtig in Erinnerung ruft. Je weiter man sich auf dem Klippenrandweg dem Nordwesten und der Langen Anna, dem der Insel vorgelagerten Felsen und ihrem Wahrzeichen, nähert, desto eindrücklicher spürt, hört, sieht und riecht man es: Helgoland ist ein Vogelparadies: Hier brüten Lummen, Tölpel und Möwen in einer unüberschaubaren Anzahl.
Dicht an dicht sitzen sie auf den Felsen: Man ist überwältigt von der Menge der Vögel, die in den Steilwänden der Insel sitzen und brüten. Ausblickspunkte und Bänke laden immer wieder zum Verweilen und Beobachten ein: waghalsige Flugmanöver zwischen den Felsen, zutrauliche Jungtiere, die sich ganz nah an die Gäste heranwagen und ein einziges Schreien und Rufen, das die Luft erfüllt. Allerdings ist an manchen Stellen der Duft nach Guano fast unerträglich, so dass man auch gerne weitergeht und nach einiger Zeit auf dem Rundweg wieder im Ort landet.
Es bleibt die Erinnerung an einen unvergesslichen Tag, der mit meinen Vorurteilen gegen die Insel restlos aufgeräumt hat. Die Großartigkeit der Natur und die Einzigartigkeit der Geschichte Helgolands ist allemal eine Reise wert. Nur zum Einkauf von Hochprozentigem ist Insel jedoch viel zu schade.